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Dieses Thema hat 2 Antworten
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 Texte zum Nachdenken!
Rondrian Offline



Beiträge: 13

18.07.2003 01:33
Tagebuch eines Missverstandenen Antworten

Tagebuch eines Missverstandenen
Die letzten 7 Tage im Leben eines Menschen

Freitag, 01. November 2002

10 Monate. Es sind nun bereits 10 Monate, dass ich keine Arbeit mehr habe. Seit 10 Monaten schon gibt mir niemand mehr eine Chance, zu beweisen, was ich leisten kann. Es hat den Anschein, als wäre ich überflüssig auf dieser Welt, als würde mich niemand brauchen. Doch das alleine wäre nicht einmal das schlimme. Nein, mit diesem Los könnte ich ja noch gut leben. Doch dazu kommt noch, dass meine Beziehung ihrem Ende entgegen geht. Ich halte es einfach nicht mehr mit dieser Frau aus. Sie raubt mir den Verstand, macht mich wahnsinnig. Ständig der selbe Streit alle paar Tage. Über Belangloses und Unwichtiges. Wir haben uns wohl auseinander gelebt. So ist wohl das Leben. Ich blicke zurück auf das, was ich bislang mein Leben nannte. Einen Trümmerhaufen aus Emotionen, Angst und Hoffnungslosigkeit. Was hat mich bisher am Leben gehalten? Die Hoffnung? Hoffnung, dass es sich alles ändert? Dass alles gut wird? Dass ich endlich mein Glück finde? Nein, das ist es wohl kaum! Wohl eher die blinde Unwissenheit, dass sich niemals etwas ändern wird. Dass ich verloren bin. Verloren in einer Welt voller Ungerechtigkeit, Unrecht und Kaltherzigkeit. Und ständig die quälende, stechende Frage, die in meinem Kopf hämmert: „Was kann ich nur tun?“ Entfliehen? Ja, das wäre wohl das beste. Das beste für mich und für alle anderen. Wer würde mich auch schon vermissen? Niemand!

Samstag, 02. November 2002

Wieder ist eine Nacht vorbei, in der ich von Alpträumen gequält wurde. Das was mir am Tage bewusst wird, schlägt sich in meinen Träumen noch einmal so schlimm nieder. Und immer wieder ein bestimmter Traum. Ich stehe vor einem frischen Grab, nur wenige Blumen stehen neben dem tristen, einfachen, schlicht gehaltenen Sarg. Anwesend sind lediglich der Pfarrer, 4 Helfer, 2 Meßdiener und ein Mitarbeiter eines Beerdigungsunternehmens. Ich blicke dem Pfarrer in die Augen, welche die Textstellen eines Trauerbuches studieren. Er blickt aus seinem Buch auf, direkt auf mich. Nein, nicht auf mich, sondern eher durch mich durch. Er scheint mich nicht wahrzunehmen. Als wäre ich gar nicht anwesend, doch ich stehe vor ihm. Erschrocken blicke ich ihn an und hoffe, dass er mich registriert, doch nichts dergleichen passiert. Mit ernstem Blick, fern jeder Trauer oder Mitleid, senkt er das Buch ein wenig und fängt an zu sprechen: „Liebe Trauergemeinde, wir haben uns hier versammelt, um einer verirrten Seele den rechten Weg zu weisen. Möge er in Gottes Schoss besser aufgehoben sein, als in dieser Welt, wo es ihn nicht hielt. Gott sei seiner Seele gnädig und nimm ihn in dein Himmelreich auf. Amen!“ Dann gibt er den Helfern ein Zeichen und ich sehe, wie sie den Sarg langsam in das Grab hinablassen. Als der Sarg unten ist, kann ich den Grabstein sehen. Ich erschrecke, denn der Name auf dem Grabstein ist meiner. Und darunter eine Inschrift „* 23.04.1977 U 07.11.2002“ und darunter „Er fühlte sich auf der Welt immer fehl am Platz, möge er eine Ort finden, an dem er zu Hause ist“. Ich sinke auf die Knie und beginne zu schreien und langsam wird es dunkel um mich herum. Und wieder wache ich schweissgebadet auf und keuche vor Angst. Ob dieser Traum, der jede Nacht wiederkehrt ein Omen ist? Ein Zeichen, dass mir zu verstehen gibt, dass ich auf der Welt keine Aufgabe mehr zu erfüllen habe? Dass es Zeit ist für mich, die Welt von mir zu erlösen und zu hoffen, dass das Jenseits mir ein besseres Dasein schenkt? Ich zweifle noch. Doch was könnte es sonst bedeuten? Ich schließe die Augen und versuche noch einmal einzuschlafen.

Nachdem ich doch noch geschafft habe, ein paar Stunden zu schlafen, reißt mich meine Freundin aus dem Schlaf. Sehr unsanft teilt sie mir mit, dass ich endlich aufstehen solle, sie wolle einkaufen. Oder noch besser WIR wollen einkaufen. Ich merke schon wieder diesen Kloß im Hals, der mir unbestreitbar zeigt, dass mir die Situation widerstrebt. Dennoch rapple ich mich auf und lasse mir meine depressive Laune nicht anmerken. Jetzt geht es wieder los! Der Spießrutenlauf durch die Läden. Die hämische, abschätzigen Blicke der anderen Menschen. Ich fühle mich als Mittelpunkt des Gelächters, was immer um mich herum entsteht. Ein weiteres Zeichen, dass ich hier nicht leben darf. Passanten schauen mich an, drehen sich ab und beginnen zu lachen. Kinder zeigen auf mich und schreien laut los: „Guck dir mal den Fettsack an! Ist der widerlich!“ Meine Augen füllen sich wie jedes mal, wenn so etwas passiert, mit Tränen. Ich versuche meine Gefühle zu unterdrücken, lasse mir nicht anmerken, dass ich zu Tode gekränkt bin durch dieses Verhalten. Diese Boshaftigkeiten, die mir jedes Mal entgegen gebracht werden. Immer die gleichen Blicke, wenn ich an der Fleischtheke 200 g Wurst bestelle und die Verkäuferin mit abschätzigem Blick die gleiche Frage stellt: „Darf´s ein bisschen mehr sein?“. Froh zurück zu sein, diese wöchentliche Demütigung überstanden zu haben, setze ich mich an meinen PC. Meinen einzigen Freund, der mir in meinem elendigen Leben geblieben ist. Alle sagen sie mir, wie toll es denn sei, dass ich für fast jedes PC-Problem eine Lösung kenne und viele Wege, wie die Arbeit schneller und leichter zu machen ist. Doch warum ist das wohl so? Nicht weil ich so viel Spaß dabei habe, sondern weil es das einzige ist, weshalb ich überhaupt noch eine gewisse Art von Sinn im Leben sehe. Kaum sitze ich an meinem Rechner und spiele ein Rennspiel, fühle ich mich frei, fühle mich wohl und geborgen, gut aufgehoben. Doch kann das alles sein?

Plötzlich steht meine Freundin wieder – wie so oft – vor mir und brüllt mich an, dass sie das nicht mehr aushalte, dass ich ständig vor dem Kasten sitze und mich nicht mehr um sie kümmere. Dass sie mich dabei auf dem falschen Fuße erwischt, ist ihr natürlich nicht klar. Und so kommt, was kommen muß. Ein erneuter Streit entfacht. Wieder prasseln diverse Beschimpfungen auf mich ein. Ausgerechnet von dem Menschen, der mich eigentlich doch verstehen sollte. Immerhin dauert unsere Beziehung schon 5 ½ Jahre an. Und in dieser Zeit sollte sie mich doch verstehen gelernt haben. Als ich nicht mehr kann, drehe ich mich um, verlasse die Wohnung und gehe in meinen Musik-Keller, um meine Aggressionen am Schlagzeug abzureagieren, um nicht handgreiflich zu werden. Nach 2 Stunden tauche ich wieder in meiner Wohnung auf und versuche erst einmal zur Ruhe zu kommen. Eine erneute Diskussion ersticke ich sofort im Keim, um nicht wieder runtergezogen zu werden. Mein Bild, dass ich niemandem nützlich bin, bestätigt sich!

Sonntag, 03. November 2002

Wieder dieser Traum, der mich in der Nacht aufschreckt. Gott, was willst du mir sagen? Soll ich es tun? Soll ich tatsächlich meinem Leben ein Ende setzen? Nein, ich weigere mich, das zu akzeptieren. Vielleicht sollte ich einfach zu einem Psychiater gehen. Mir professionelle Hilfe besorgen. Doch ist mir wirklich noch zu helfen?

Es ist Trödelmarkt-Tag und es ist wieder Streit im Anmarsch. Die dunklen Wolken des Krachs ziehen wieder auf! Ich soll mitkommen! Wieder unter Menschen gehen, mich der Lächerlichkeit preisgeben, Spot und Hohn ernten, all das Leid ertragen. Doch ich kann und will das nicht mehr. Ich will hier bleiben, in meinen 4 Wänden, mich einfach nur zurückziehen, von der Welt, den Menschen, allem. Warum versteht mich denn niemand? Ist es denn so schwer zu begreifen, dass ich mich unwohl fühle, überflüssig, fehl am Platze? Wie oft muss ich ihr das noch erklären? Und wieder kommen diese Zweifel. Ist sie wirklich die Richtige für mich, wenn sie meine Gefühle missachtet? Nicht berücksichtigt, dass ich ein Wrack bin, körperlich und vor allem seelisch!

Ich suche mein Heil in der Flucht und beginne wieder einmal die Wohnung aufzuräumen und umzuräumen, um wenigstens ein paar Stunden sein zu können wie ich es gerne wäre, kreativ, stark und kräftig. All das, was ich in der Öffentlichkeit nicht sein kann. Meine beste Freundin nennt es Komplexe, ich hätte ein zu geringes Selbstwertgefühl. Selbstwertgefühl? Dass ich nicht lache! So etwas besitze ich schon seit langer Zeit nicht mehr.

Nach dem Aufräumen setze ich mich in die Küche, auf Fensterbank am offenen Fenster. Starre in den Himmel und lasse meine Gedanken schweifen. Wie konnte es nur so weit mit mir kommen? Wer hat Schuld? Die anderen? Ich? Alle zusammen? Oder etwa niemand? Ist es einfach nur mein Schicksal, nicht glücklich werden zu dürfen? Ja, das muss es sein! So habe ich wenigstens eine Begründung für meine Lage. Kann ich wenigstens immer wieder sagen: „Ich kann ja nichts dafür! So ist es nun mal und so wird es bleiben!“.

Und so vergehen noch einige Stunden, in denen ich einfach nur zusehe, wie der Tag sich seinem Ende neigt. Während der ganzen Zeit rede ich kein einziges Wort, reagiere auf nichts. Nicht auf meine Freundin, die mich bittet, wieder reinzukommen, nicht auf das Hupen und Rufen eines Nachbarn, der mich aufmerksam macht, das ein Sturz aus dem 2. Stockwerk tödlich sein kann. Warum sollte ich auch reagieren? Wenn ich falle, dann ist es vielleicht vorbei! Dann bin ich vielleicht erlöst. Und die ganze Zeit spiele ich mit der Patrone, die in die ich vor einigen Jahren meinen Namen einrizte. Sie fühlt sich gut an, fast wie eine kleine Erlösung. Wirre Gedanken befallen meine Sinne. Ich stelle mir vor, wie ich meine Waffe nehme, das Magazin ganz langsam aus dem Schaft ziehe, „meine“ Patrone einstecke, das Magazin zurückstecke und durchlade. Nur einen kurzen Moment würde es dauern und all der Schmerz, die Sorgen und das Elend wäre ein für alle mal weggeblasen. Eine Art Frieden überkommt mich. Doch diesen Gedanken kann ich nicht verdrängen. Ich atme tief durch, forme meine rechte Hand zu einer Pistole, halte sie mir an die Schläfe. Würde es sehr weh tun? Hätte ich die Chance auf einen sofortigen, schmerzfreien Tod? Oder würde ich überleben und für immer behindert bleiben? Nein, das Risiko ist zu hoch, dass ich auch das nicht schaffen würde. Also stecke ich die Patrone wieder in meine Brieftasche, steige vom Fensterbrett und gehe sofort ins Bett, nur um auf meinen ewig wiederkehrenden Traum zu warten, der mich in der Nacht wieder einholen und aus dem Schlaf reißen wird.

Montag, 04. November 2002

Danke Gott, du hast es wohl heute gut mit mir gemeint, als ich um 06.15 Uhr vom Wecker geweckt werde und mir auffällt, dass mein Traum mich diese eine Nacht verschont hat. Habe ich es nun überstanden, frage ich mich. Doch dann kommt die Realität wieder und schlägt so erbarmungslos zu, wie sie es nur kann. Auf dem Weg zu meiner Umschulung überfällt mich das unsägliche Verlangen mein Fahrzeug in den Gegenverkehr zu lenken. Direkt auf einen LKW wäre doch eine pompöse Art des Abgangs. Doch meine Vernunft siegt. Also habe ich wieder einen Tag vor mir, der mit der Verachtung meiner Kollegen startet. Es liegt mit Sicherheit an mir, dass mich niemand mag. Bin ich zu eingebildet auf mein Können? Wirke ich arrogant, weil ich statt mit den Leuten zu reden in den Pausen lieber mein Auto aufsuche, um für mich allein zu sein, um nicht Ziel der Gemeinheiten zu werden? Ja, ich bin es wohl selber schuld.

Gott sei Dank! Endlich 15 Uhr und Feierabend, endlich so schnell wie möglich nach Hause, weg von allen Menschen, die mir Bosheiten anhaben könnten. Doch wohin eigentlich? Nach Hause! Dem Ort, wo ich mit Sicherheit wieder Streit und Krach erwarten darf. Und ich werde natürlich nicht enttäuscht. Kaum bin ich wieder zu Hause, schon geht der Krach los. Als ich nicht mehr kann, merke ich wie sich meine Hand den Weg zur Brieftasche bahnt, dort wieder MEINE Patrone betastet. Und ich spüre wieder dieses Gefühl der Geborgenheit in diesem todbringenden Instrument. Als es meiner Freundin zu blöd wird, dass ich einfach nur abwesend da stehe und ihr nicht wirklich mehr zuhöre, geht sie, verlässt meine Wohnung und fährt zu ihrer Bekannten, um mich wohl wieder schlecht zu machen. Aber geht das noch? Noch schlechter geht doch sicher nicht mehr. Ich lege mich auf mein Bett, schalte den Fernseher an und schaue fern. Fernseher, mein Fernseher! Mein zweiter Freund!

Erst um 22 Uhr kommt meine Freundin wieder. Sie redet nicht mehr mit mir. Gut so, dann gibt es auch wenigstens keinen Streit mehr und ich kann in Ruhe vor mich hin vegetieren. Mich auch mich und mein Elend wieder konzentrieren. Anderes habe ich in letzter Zeit nicht mehr zu tun. Ich steigere mich immer mehr in meine Opferrolle hinein, aber ich bin halt das Opfer! Ein Opfer der Gesellschaft! Ich erinnere mich zurück. Ganz weit zurück, an meine Schulzeit. Schon damals ging es los, dass ich Spotobjekt Nummer eins war. Immer wurde ich gehänselt und beschimpft, weil ich schon als Kind immer viel dicker war, als die anderen. Wurde schon damals immer ausgegrenzt, abgekapselt, missachtet und übergangen. Nicht nur von den Mitschülern, nein auch von den Lehrern, so begreife ich erst heute. Seltsam an was man sich alles erinnert, wenn man am Boden ist. Ich vergesse wohl nie meinen ersten Diskothekenbesuch mit 17. Ich war so froh, dass mich endlich mal jemand mitnahm und ich auch einmal eine Disko kennen lernte. Doch dann kam der Horror für mich. Ich ging auf die Tanzfläche und der DJ gab über Lautsprecher durch, dass ich doch gefälligst da weg zu gehen hätte, da sie kein Wal-Becken für mich hätten uns statt mir 5 andere Gäste dort Platz hätten. Gekränkt und gedemütigt verließ ich sofort die Disko und ging auch nie wieder in eine! Zu tief verletzten diese bösen Worte. Ich bin doch auch nur ein Mensch, mit Gefühlen wie jeder andere auch. Warum begreift das niemand?

Bitte. Lass mich heute wieder so gut schlafen wie gestern, Gott!

Dienstag, 05. November 2002

Bis 1.30 Uhr lag ich wach, habe nachgedacht. Nachgedacht, ob meine Beziehung noch eine Zukunft hat. Bevor ich eingeschlafen bin, kam ich zu dem Entschluss, dass sie es leider nicht mehr hat. Ich schreibe Steffi einen Brief, sie möge mich bitte verlassen. Sie wird das sicherlich verstehen. Und noch garantierter wird sie glücklich darüber sein, mich endlich los zu werden. Ich hänge den Brief an die Wohnungstür und mache mich auf den Weg nach Düren.

Mir geht mein Traum nicht mehr aus dem Kopf. Die ganze Zeit der Fahrt denke ich darüber wieder nach, wie so oft. Ich drehe die Musik auf Maximum, um ein wenig Ablenkung zu bekommen. Doch es hilft nichts.

Oh Hilfe, erst 13 Uhr und noch immer 2 Stunden hier sein müssen. Doch jetzt ist erst mal Pause. Ich freue mich schon auf meine Ruhe, als auf einmal meine Freundin auf mich zukommt, mich aufs schlimmste beschimpft, mich ein Arschloch nennt. Mir meinen Brief vor die Füße wirft und sagt, sie werde mich wirklich verlassen, ich solle doch zur Hölle fahren. Vielleicht tu ich das ja auch. Ich weiß es doch nicht, ob ich in den Himmel oder in die Hölle komme. Bei meinem Glück wird es die Hölle sein.

Die letzten 1 ½ Stunden sitze ich nur im Klassenraum und starre vor mich hin. Erst um 15 Uhr werde ich aufgefordert, nach Hause zu gehen. Ich würde noch merken, wie weit ich so kommen würde. Als ob ich keine anderen Sorgen habe, als die Lehrer und alle anderen.

Ich bin alleine. Alleine zu Hause. Alleine in meiner Wohnung. Alles hier erinnert mich an Steffi. Widert mich an! Ich muss alles loswerden! Alles packen und ihr geben. Einige Sachen hat sie heute morgen schon gepackt, doch noch immer ist so vieles von ihr hier. Wie in Trance greife ich mir Sack um Sack und stopfe ihre Sachen hinein, knote sie zu und stelle sie in den Flur. 12, 13, 14. Schon bin ich beim 15. Sack. Hoffentlich überstehe ich das Packen! Gott, gib mir die Kraft, das alles zu überstehen. Alles, was schief läuft.

Endlich fertig! Alle ihre Sachen sind aus meiner Wohnung entfernt, gut verpackt und zu Abholung bereit. Wieso kann ich nicht normal glücklich sein, wie jeder andere auf dieser Welt auch? Ohne es wirklich zu merken habe ich sie wieder in der Hand, die Chance und Hoffnung auf Erlösung. MEINE Patrone, mein Weg in eine bessere Welt. Doch wann soll ich ihn endlich gehen? Heute? Morgen? Oder erst in einer Woche? Einem Jahr? Oder niemals? Gibt es vielleicht doch einen anderen, besseren Weg? Mir fällt keiner ein. Es gibt nur diesen einen Weg, doch noch bin ich nicht so weit, ihn zu gehen. Ich brauche noch Zeit, ganz zu begreifen, dass ich sonst keine Chance mehr habe.

Mittwoch, 06. November 2002

Die erste Nacht alleine. Sie war schrecklich. So einsam wie heute Nacht habe ich mich noch nie gefühlt. Und gleichzeitig dennoch befreit von einer Last, die mich zerstört hat.

Ich ziehe mich an und fahre wieder nach Düren, wie jeden verdammten Tag in der Woche. „Und wieder 7 lange Stunden diesen Mist ertragen“, denke ich mir, als ich im Auto unterwegs bin. Ich setze mich einfach an den Tisch, stütze den Kopf ab und starre ins Nichts. Das Ergebnis ist am Nachmittag ein ernstes Gespräch zwischen Dozent und mir. So ginge es wirklich nicht weiter, rügte er mich. Ich sagte ihm, dass diese Phase nicht mehr lange dauern würde, dass es bald ein Ende haben würde. Damit beruhigte ich ihn. Wenn der nur wüsste!

Auf dem Weg nach Hause klingelt mein Handy. Es ist Steffi. Sie wolle morgen ihre Sachen abholen kommen und wolle mich danach nie wiedersehen. Ich sage ihr für Donnerstag zu und lege auf. Zu Hause mache ich mir erst mal was zu Essen. Ein ganz besonders leckeres Mal. Immerhin ist es ja fast eine Art Henkersmahl. Wer weiß, wie oft ich noch etwas essen werde oder ob es da, wo ich hingehen werde überhaupt etwas zu essen gibt? Ich stopfe mich richtig voll. Mit allem, was ich nur in die Finger bekomme. Hauptsache es schmeckt gut. Und das tut es. Essen ist schon immer meine Frustbeschäftigung Nummer eins gewesen und wird es die kurze Zeit, die mir noch bleibt auch weiterhin sein. Ich zünde mir eine Zigarette an. Schon die 42. heute. Ich rauche zu viel, aber wen interessiert das jetzt noch. Mit einem wohligen Gefühl hole ich SIE wieder hervor, streichel und liebkose sie. „Bald wirst du mich erlösen!“, sage ich ihr, „doch heute darfst du noch schlafen! Es ist noch nicht so weit! Aber bald! Sehr bald! Das schwöre ich dir!“

Donnerstag, 07. November 2002

Ich habe sehr gut geschlafen. Keine Alpträume! Nichts der gleichen. Ruhig, ganz ruhig, ohne Störungen! So wünsche ich es mir öfter, aber viele male werde ich nicht mehr schlafen. Ich bin fest entschlossen, es bald zu tun. Doch jetzt werde ich erst einmal fahren. Die 7 Stunden hinter mich bringen. Ich sitze einfach nur da, gucke auf ein Ziel, dass niemand außer mir sieht und grinse. Ich glaube, die glauben alle, es ginge mir besser, wenn sie das überhaupt interessiert. Gleich ist es soweit! 15 Uhr! Dann fahre ich nach Hause, warte auf Steffi, damit sie ihre Sachen bekommt und dann ist auch sie als letzte aus meinem Leben getreten. Dieses mal bin ich es aber selber Schuld. Das gestehe ich mir auch ein. Schließlich habe ich ihr den Brief geschrieben. Es hat mich ja niemand gezwungen, aber ich weiß, dass es das beste ist! Endlich etwas, dem ich mir sicher sein kann.

Ich mache mir etwas zu Essen. Ich habe mir extra ein großes Steak geholt, weil ich das doch so gerne esse. Dazu koche ich mir Salzkartoffeln. Das schmeckt so gut, dass ich dafür sterben würde. Ich liebe es wenn das Steak noch blutig ist, wenn es auf dem Teller liegt. Ein seltsames, beruhigendes Gefühl beschleicht mich, als ich das Steak anschneide und der blutige Saft über den Teller rinnt.

Das war göttlich! Und kaum bin ich fertig mit Essen, schon steht Steffi vor der Tür und verlangt ihren Kram! Den soll sie bekommen. Ich habe alles, wirklich alles, was mit ihr zu tun hat, bzw. von ihr ist, gepackt und helfe ihr noch alles einzuladen in ihr Auto. Ich verabschiede mich von ihr mit den Worten „Leb wohl, vielleicht sehen wir uns irgendwo anders noch einmal wieder!“.

Komm zu mir, meine Erlöserin! Ich stelle dich auf den Tisch, direkt vor mich, damit wir zusammen sein können. Damit wir die letzten Stunden gemeinsam verbringen können. Du beruhigst mich, gibst mir Kraft und Hoffnung. Ich freue mich auf deine Arbeit, wenn du mir den Weg ebnest in eine andere, bessere Welt. Wenn ich alle Sorgen in einem Bruchteil einer Sekunde hinter mir lasse, dieses ganze beschissene und miserable Leben. Alles von mir streife und ein Teil des großen Ganzen werde, was wir Lebenskreislauf nennen.

Ich hole jetzt dein Werkzeug, damit du deine Arbeit gut und zuverlässig verrichten kannst. Ich pflege dein Werkzeug auch sorgfältig, damit du deinen Dienst nicht verwehrst. Lasse mich bitte nicht auch im Stich wie alle anderen. Sei wenigstens du für mich da und hilf mir glücklich zu werden.

Ich gehe jetzt und hole meine Waffe, werde sie laden, gegen mich selber richten und all meinem Schmerz ein Ende bereiten. Wer immer diese Worte findet und liest, möge mir bitte verzeihen. Ich wollte niemandem etwas böses tun. Nennt mich ruhig feige, dass ich meinen Sorgen und Nöten entfliehe, aber ich finde mich in diesen letzten Minuten meines Lebens sehr mutig. Nicht viele Menschen würden sich so selber zu einem besseren Dasein verhelfen, weil ihnen die Kraft fehlt. Doch diese Kraft ist das einzige, was mich all die Jahre weitergetrieben hat. Diese Kraft und das Wissen, dass ich etwas besseres finden werde.

Eine allerletzte Bitte habe ich aber noch an euch alle, die ich mich nie verstehen wolltet oder konntet: Macht es nicht mit anderen genau so. Es soll nicht noch jemanden geben, der meinen Weg gehen muss. Zeigt auch denen, von denen ihr denkt, sie hätten es nicht verdient, euren Respekt und eure Liebe. Helft ihnen aus ihrem Jammertal. Akzeptiert und achtet sie wie jeden anderen Menschen auch. Das ist das einzige, was ich der Nachwelt hinterlassen kann. Bitte, beachtet mich nur dieses eine mal, auch wenn ich es vielleicht dann nicht mehr mitbekomme. Wir sehen uns wieder, in einer besseren Welt, ohne diesen ganzen Scheiß! Das verspreche ich euch allen! Lebt wohl.

Bevor ich es vergesse. Bitte sorgt dafür, dass an meinem Grab folgendes zu lesen ist:

Er fühlte sich auf der Welt immer fehl am Platz, möge er eine Ort finden, an dem er zu Hause ist.

Lebt wohl und trauert nicht um mich, das will ich nicht!

Dirk

Morgaine Offline



Beiträge: 4

28.08.2003 12:44
#2 RE:Tagebuch eines Missverstandenen Antworten

Ich kannte diesen Beitrag zwar schon aber jedesmal wenn ich ihn ein weiteres mal lese bin ich immer wieder schockiert darüber was dir so durch den kopf geht.

Rondrian Offline



Beiträge: 13

01.09.2003 11:30
#3 RE:Tagebuch eines Missverstandenen Antworten

Meinst du denn, mir geht es anders? Wenn ich so einiges lese, was ich schreibe, habe ich selber schon fast wieder Angst.

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