Texte zum Nachdenken! » Noch 15 Minuten

Noch 15 Minuten:
Heute will er nicht den Fahrstuhl nehmen, er geht lieber die Treppe zu Fuss.
Wieviele Stufen es wohl sein mögen ? Dachte er so nebenbei, als er Stufe für Stufe
nahm. Gerne würde er einfach, wie die Stufen, alles hinter sich lassen und
einfach in seinem Leben nach oben gehen. Doch das Leben ist keine nach oben führende Treppe,
eher ein Fahrstuhl, bei dem man nie weiß wo er nächstes hält.
Noch 9 Minuten:
Es ist frisch als er das letzte Stockwerk erreicht. Für einen kleinen Augenblick fühlt er,
wie sich Leben anfühlt. Lediglich ein paar Erinnerungen hat er noch daran, aber was soll
ihm jetzt die Vergangenheit nützen. Seine Vergangenheit ist eine von vielen, seine
Gegenwart leer und die Zukunft vertrocknet. Wasser kennt er nur zum waschen.
Noch 8 Minuten:
Auf dem Dach angekommen, ist er allein. Wie sehr sehnt er sich nach Freiheit, nicht diese
Freiheit die man auf dem Sattel eines Motorrades genießt. Nicht diese Freiheit die man an
Wochenenden empfindet und sagt "Die Welt gehört mir!". Nicht diese Freiheit, zu wissen
das man entscheiden kann wie man will. Seine Freiheit war die Ruhe.
Noch 7 Minuten:
Ein Blick über die Stadt mit deren Menschen er noch nie viel anfangen konnte, führt ihn
an seine Entscheidung heran. Die Menschen die wie Ameisen emsig und fleißig dafür sorgen,
ihre Stadt am Leben zu erhalten. Wieviele Schicksale mag es wohl in dieser Stadt geben,
die dem seinem ähnlich wären ? Das es sie gibt bezweifelt er nicht, nur helfen konnte er
auch nicht. Die Hilfe die man ihm gab, war oft gut gemeint, aber nie das was er suchte.
Noch 6 Minuten:
Irgendwer, wie immer unter den konservativen Kreaturen dieser Stadt, hatte gesehen, das da
eine Peron alleine auf dem Dach stand und die Polizei gerufen. Er sieht die Traube die sich
unten vor dem Eingang bis hin über die Strasse gebildet hat. Er wundert sich ein wenig
über das Interesse das man ihm schenkt. Nur schade das dieses Interesse so wenig mit
Verständnis zu tun hat.
Noch 5 Minuten:
Was mögen die Gaffer wohl denken ? Ob sie ihn erkennen ? Auf jeden Fall haben sie heute
abend etwas zu berichten. Von diesem Tag, der in ein paar Wochen einer von vielen sein
wird und nichts in der Geschichte oder dem Treiben der Stadt verändert hat. Den Menschen
wird hin und wieder etwas ins Gedächtnis gerufen, aber ihrem denken oder handeln bleiben
sie treu. The Show must go on... Wie gerne hätte er einiges verändert.
Noch 4 Minuten:
Sein Beruf den er sich nie erfüllen konnte. Seine Frau die er nie fand. Seine Familie die
es einfach nicht besser wusste und er sich mehr oder weniger selbst erzog. Seine Freunde,
die ihn betrogen und verlassen, als er sie am nötigsten brauchte. Warum, wozu, weshalb es
hat doch keinen Sinn...
Noch 3 Minuten:
Ein Hupen und Gemurmel dringt an seine Ohren. Mittlerweile regen sich einige Autofahrer auf,
da sie nicht durch die Menschenmenge weiter fahren können. Zornige Gesichter erhellen den
grauen Asphalt. Leute die es eben noch eilig hatten, starren gespannt nach oben. Einige
machen sich wirklich Gedanken wie es soweit kommen konnte. Aber auch sie sind nur eine
Sekunde von einer Minute die ständig tickt.
Noch 2 Minuten:
Feuerwehr und Polizei haben sich eingefunden. Dein Freund und Helfer, der dir für das
Falschparken fast eine halbe Tankfüllung abknöpft. Er sieht einige Männer in den Eingang
huschen und denkt sich, warum könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen. Im Haus selbst
hört man hektische Türschläge.
Noch 1 Minute:
Wie schön ruhig war es noch eben. Ich will meine Freiheit. Ich will euch nicht sehen und
hören müssen und euer Spielball sein. Ich will keine Seelenschmerzen mehr bekämpfen müssen.
Ich will zu dir, du tröstender, erlösender Tod.
Noch 1 Sekunde:
Die Tür hinter ihm öffnet sich und ein lautes Organ von unten ruft: "Spring!"

© SLash

Arroganz ist Ignoranz in Toleranz